Zack, nüchtern


Zack, nüchtern. Oder wie sich erwachsen werden anfühlt.
 
Ok, ich glaub ich bin wach. Scheiße ich bin wach. Wie lang hab ich geschlafen? Und wo bin ich? Um zumindest die letzte Frage für mich selbst zu beantworten, müsste ich die Augen aufmachen. Es riecht irgendwie nach Schweiß und Alkohol, nicht nach zuhause. Und ich lieg so unbequem. Ist das etwa mein Geruch und oh Gott hab ich Durst. 

Jetzt mach doch endlich mal die Augen auf, Kind. 
Gut, langsam. Erst eins. 
Halb.

Fühlt sich nicht gesund an wie meine Wimpern aneinanderkleben, Abschminken war also auch nicht mehr drin. Super. Ich versuchs mal, ganz langsam und GOTT IST DAS HELL! Mein Kopf platzt, nicht bewegen, alles dreht sich, mir ist schlecht. Ich weiß nicht wo ich bin und erst recht nicht wo ich eine Toilette finde. Aber um Himmels Willen ich weiß ja nicht mal ob ich pinkeln oder kotzen muss.
Mein Magen rumort. Meine Lippen kleben aneinander. Ich versuch mich aufzusetzen. Ganz langsam. Umschauen, Wasser suchen, Toilette finden, Schritt für Schritt. Wie böse schmerzende Blitze schießen Erinnerungsfetzen an gestern Abend durch meinen sich enorm groß anfühlenden Kopf. 

Pulver, Pille, Schnaps. Aber wo zur Hölle ist hier die Küche?

Gut, einen Fuß nach dem anderen aus dem Bett. Ich verbinde jetzt alle Bedürfnisse miteinander und suche das Bad – weil Wasserhahn gleich Trinkwasser. Die zweite Tür von rechts, alles klar – die WG kenn ich. Den Kopf unterm Wasserhahn, die vom Tanzen dreckigen Füße auf dem Badezimmerteppich einer Freundin. Ein Fremder schläft in der Badewanne und das T-Shirt das ich trage kenn ich nicht. Genau so wenig wie die Frau im Spiegel. Ich pinkel leise – wir wollen Torben, Tobias oder Thomas, ich weiß es war was mit T, ja nicht aufwecken. Damit wäre die Kotzoption auch schonmal raus. 

Je länger ich auf den Beinen bin, desto unsicherer werde ich. 

Mein Kreislauf hat sich wohl mit meinem Blutzucker ins Nirvana verabschiedet. Durchatmen. Die dritte Tür ist die Küche. Im Kühlschrank Apfelmus. Lebensretter. Am Tisch eine schweigende weitere Fremde. Wir gucken uns nur an, ich mach ihr auch eine Schale. Wir löffeln stumm das Apfelmus. Ich trink von ihrem Wasser, sie kocht Kaffee. Kaffee regelt das schon, aber wo zur Hölle sind meine Klamotten?
Im Flur stehen Sofas, auf einem schläft ein Typ mit Pferdemaske. Herrgott ich muss nach Hause. Aber nicht ohne Hose. Die Suche geht weiter. Zimmer 1, Zimmer 2 – überall schlafende Menschen, irgendwo meine Leggings, das wird reichen. Den Rest sammele ich wann anders zusammen. Ich zieh die Sonnenbrille an und die Wohnungstür hinter mir zu. 

Es ist Montagmorgen 7:30 Uhr. Die Straßen voll. Ein Taxi hält an. 

Ich sag dem Fahrer wo ich hin will, er fragt wo ich war. Mein Blick reicht als Antwort. Mein Jutebeutel als einsame Alltagsinsel im Katermeer, gefüllt mit allem was an ein normales Leben erinnert. Schlüssel, Portemonnaie, Handy. Der Akku ist leer – meiner ist leerer. Ich zahle, steige aus und schwebe in den 4. Stock. Altbau. Was hab ich mir beim Einzug nur gedacht. Wie viele Stufen denn noch? Schlüssel ins Loch. Sofa. 

Mir ist schwindelig, alles dreht sich. Hab ich Hunger oder ist mir schlecht? 

Keine Ahnung wie lang ich jetzt hier schon liege. Ich mach mal den Fernseher an, lass mich irgendwie berieseln Die unerträgliche Schwierigkeit des Seins - der Schwebezustand zwischen glücklich berauscht und komplett schwarzem Katerloch. Man sieht sich fallen und kann sich doch nicht auffangen. Irgendwie leer. Leergefeiert. 

Zehn Jahre später hab ich immer noch Kopfschmerzen. 
Kopfschmerzen vom Erwachsensein.  

Dieser Prozess des Erwachsenwerdens ist wie plötzlich runterkommen. Und zack, nüchtern. Tiefe Bässe eingetauscht gegen hohen Dispozins. Die Tüte zum Runterkommen wurde zum starken Kaffe samstags um 8:00 Uhr morgens vorm Großkampf im Supermarkt. Die Liste geht ewig so weiter, aber das Gute ist: Auch der schlimmste Kater geht vorbei. Deswegen ist das Erwachsenwerden vielleicht ein nüchtern werden, das Erwachsensein bietet aber mindestens so viel Rausch wie Kater. Das einzige was hilft - weitermachen. Durchhalten. Durchatmen. Manchmal dreht sich immer noch alles viel zu schnell, es wird einem immer noch schlecht. Die Sorgen schwimmen oben, egal wie viel man trinkt. Aber das Glück, das Glück wird auch immer schöner.  Purer. Echter.

Denn Alles nüchtern Erleben. Ohne verrauschten Realitätsschleier. 
Das ist es, worum es geht. Ums aushalten und genießen.